Dritter Band zur Geschichte der Deutschen Nationalbibliothek vorgestellt Ein besonderer Wissensspeicher

Helke Rausch im Gespräch mit Wolfgang Niess. Bild: Jeannette Faure

Nordend-West (jf) – Vor einem Jahr blickte die Deutsche Nationalbibliothek auf ihr 111-jähriges Bestehen zurück. Bis 1912 gab es im deutschen Sprachraum keine derartige Einrichtung. Bayern und Preußen hatten Staatsbibliotheken, außerdem existierten weitere Länderbibliotheken. Im Oktober 1912 gründete der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, unterstützt vom Königreich Sachsen und von der Stadt Leipzig, die Deutsche Bücherei. Ab 1913 sollte sie als Archiv das nationale Schrifttum vollständig sammeln. Erst später wurde die Ablieferung von zwei Pflichtexemplaren von jedem Druckwerk Gesetz.

Die Historikerin Helke Rausch hat sich nun mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt im Zeitraum von 1945 bis 1990 befasst: Im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Niess stellte sie ihren Band „Wissensspeicher in der Bundesrepublik“ im großen Saal des Frankfurter Hauses vor. Direktorin Ute Schwens würdigte den Band als „quellengesättigte und tiefschürfende Darstellung“.

Der Start der künftigen Bibliothek erfolgte unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf Initiative der amerikanischen Besatzungsmacht. Der erste Raum befand sich im Rothschildpalais am Untermainkai. „Die Gründung wurde ausgehandelt. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der Bibliothekar und Literaturwissenschaftler Hanns Wilhelm Eppelsheimer“, erklärte Helke Rausch. Ikonisch sei das „Tabakzimmer“ im Rothschildpalais gewesen, in dem erste Niederschriften auf einer geliehenen Schreibmaschine getippt wurden.

Den Amerikanern sei es darum gegangen, eine Präsenzbibliothek nach US-amerikanischem Vorbild zu schaffen und die Kontrolle über alle Druckwerke zu erhalten. „In der Nazizeit hatten sich die Machthaber in der Stadt- und Universitätsbibliothek ausgetobt und alle jüdischen und missliebigen Mitarbeiter entlassen. Bücher und Schriften, die nicht ins NS-Bild passten, waren entfernt worden“, unterstrich Rausch. Die ersten Mitarbeiter der neuen Bibliothek waren Profis, aber keine Nazis. Eppelsheimer, mit einer jüdischen Frau verheiratet, war über alle Zweifel erhaben. Der umtriebige Bibliothekar versuchte nicht ohne Erfolg Geld für die 1946 in Frankfurt gegründete Deutsche Bibliothek, deren Direktor er 1947 wird, zu sammeln. Wenn er in Zeiten des Kalten Krieges bei der Bundesregierung darauf verwies, dass im Westen ein Gegengewicht zur Deutschen Bücherei in Leipzig geschaffen werden musste, beeindruckte das oft.

1955 wurde die Abgabe von Pflichtexemplaren in der DDR per Anordnung geregelt, 1969 in der BRD per Gesetz. 1959 zog die Deutsche Bibliothek in den Neubau an der Zeppelinallee. Mit der Wiedervereinigung 1990 werden Deutsche Bücherei und Deutsche Bibliothek zusammengefasst, ihre zwei Standorte bestehen weiter.

Bereits 1948 gab es den Plan zur Gründung einer „Bibliothek der Emigrationsliteratur“, daraus entstanden nahezu zeitgleich Exil-Literatur-Sammlungen in Frankfurt und Leipzig. Die erste Wanderausstellung „Exil-Literatur 1933-1945“ wurde 1965 in Frankfurt gezeigt. Das Deutsche Exilarchiv 1933 bis 1945 ist eine von mehreren besonderen Sammlungen, die zur Nationalbibliothek gehören.

Der Jahresbericht der Deutschen Nationalbibliothek liegt 2022 erstmals digital vor. Insgesamt befinden sich in beiden Bibliotheken mehr als 46,3 Millionen Medien.