Das Bühnenbild ist sehr einfach gehalten: Zwei Tische, auf denen die Märchenbücher liegen, mehr brauchen die beiden Künstler nicht. Während Mosetter in einem gediegenen Anzug mit Schlips und Kragen auftritt, trägt Quast eher „bequeme Kleidung.“ Und während der temperamentvolle Quast Hexen und Stiefmütter ebenso liebevoll darstellt wie Bäume, Bienen und Brünnlein, vertritt Mosetter, der auch als „die personifizierte Fußnote“ bezeichnet wird, einen streng wissenschaftlichen Ansatz und bereichert die impulsive Darbietung Quasts um tiefere Bedeutung, Symbolik und biografische Anmerkungen. Dabei profitieren die beiden Bühnenkünstler von ihrer jahrelangen Zusammenarbeit.
Doch bevor es losgeht, möchte Mosetter vom Heusenstammer Publikum erst einmal erfahren, was denn das Lieblingsmärchen hier sei. Also schickt er Quast ins Publikum. Natürlich werden die bekanntesten Märchen wie „Dornröschen“, „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und sieben Geißlein“ genannt. Mosetter notiert sich die Antworten. Dann verkündet er, dass er eine Formel entwickelt habe, mit der er das „kollektive unbewusste, leidenschaftliche Unterbewusstsein der Heusenstammer“ ermitteln könne. „Einmalig, wirklich sehr einmalig“, kommentiert Mosetter das Ergebnis und rechnet sicherheitshalber noch mal nach. Schließlich verkündet er, dass nach seiner Berechnung die Heusenstammer das Märchen „Die zwei Wanderer“ gewählt haben. „Das sagt viel über sie aus“, kommentiert er das Ergebnis.
Quast beginnt zu lesen, dabei wird er natürlich immer wieder von Mosetter unterbrochen, der mal korrigierend eingreift – „du musst märchenhafter vorlesen“ – oder oft einen hintergründigen Kommentar einwirft. So erfährt das Publikum, dass es in allen Märchen der Gebrüder Grimm ein Diktum gibt, das nach seiner Meinung bis tief an die Wurzeln unserer Kultur reiche. „Hier geht es um den Imperativ, die Befehlsform“, sagt Mosetter. „Tue das nicht“, käme sehr oft vor. Wer sich in den Märchen nicht an den „Befehl“ halte, müsse unendliche Qualen erleiden, verliere seinen Kopf oder sein Augenlicht oder sogar sein Leben.
Überhaupt seien die Grimmschen Erzählungen so etwas wie die „Kammer des Grauens, die man auf der Bettkante der Kinder installiert hat“, sagt Mosetter.
Beide Schauspieler gehen in ihren Rollen perfekt auf. Mosetter spricht nahezu immer in derselben ruhigen Tonlage, während Quast ein Meister der Intonation ist und seine Erzählungen mit temperamentvollen Bewegungen garniert. Dabei wechselt der Schauspieler des Öfteren gekonnt den Dialekt. So lässt er den Schuster in dem Märchen „Die beiden Wanderer“ auf sächsisch reden, während der Schneider hessisch spricht.
Dem Publikum hat die Aufführung gefallen, denn es wurde viel gelacht und kräftig applaudiert.
Von Burghard Wittekopf