In Egelsbach verschönern Kinder und Jugendliche eine Schallschutzwand am Bahnhof/Fortsetzung auf Seite 3 Coole Kunst auf großer Fläche

Mit vollem Einsatz bei der Sache: Kinder und Jugendliche rücken der trostlos-grauen Schallschutzmauer mit bunter Farbe zu Leibe. Foto: Jost

Egelsbach (njo) – „Ich bräuchte ganz dringend die Fat Cap“, sagt Alice durch ihren weißen Mundschutz hindurch. Der 15 Jahre alte Teenager meint damit die Sprühdose mit der größeren Öffnung, aus der mehr Farbe herauskommt. Währenddessen steht Lilli auf der Leiter, um den Herzchen auf der Mauer in zwei Metern Höhe den richtigen Farbton zu verpassen. Florian Guntrum, pädagogischer Leiter und Teamleiter beim Verein für Jugendsozialarbeit und für Jugendkulturförderung Rhein-Main, hält die Leiter fest und behält den Trubel im Blick. 29 Kinder und zehn Jugendliche lebten unlängst ihre ganze Kreativität beim Graffiti-Sprühen im öffentlichen Raum aus. Die Spaziergänger bleiben lächelnd stehen, sogar manch ein Radfahrer hält auf dem Radschnellweg entlang der S-Bahnlinie am Egelsbacher Bahnhof kurz an und informiert sich, was dort gerade passiert.

Die etwas über 250 Meter lange Schallschutzmauer verwandelt sich von einem Schandfleck in eine leuchtend bunte Kulisse. Das ganze ist ein Gemeinschaftsprojekt des Egelsbacher Jugendvereins mit den Kindern aus der Kreativwerkstatt und den Jugendlichen aus dem Juz sowie den Künstlern des Kunstvereins. „Die Idee hatte Svetlana Jakel, die jeden Tag mit ihrem Hund hier spazieren geht und über die Trostlosigkeit dieser Strecke betrübt war. Sie hat angeregt, diese große Fläche für coole Kunst freizugeben“, erklärt Florian Guntrum.

Das ist normalerweise gar nicht so leicht, denn oftmals sind Schallschutzmauern im Besitz und auf dem Gelände der Deutschen Bahn. Das ist in Egelsbach glücklicherweise anders – die Wand läuft auf Gemeindegrund.

Der Jugendkulturverein hat mit Thekra Jaziri (Künstlername „Jazirkus“) und Florian Lübke zwei professionelle Künstler ins Boot geholt und mit 3.700 Euro aus dem Topf der Lotto-Förderung des Landes Hessen eine Finanzierung auf die Beine gestellt.

Der künstlerische Entwurf ist ebenso spannend, wie gelungen: Auf den ersten Metern der Mauer haben sich die Mitglieder des Kunstvereins mit ihren Motiven ausgelebt, die größte Strecke der 250 Meter langen Wand gestalten die Kinder und Jugendlichen. „Die Grundidee ist eine Ameisenstraße, denn auf dem Radschnellweg herrscht ein Andrang wie auf einer Ameisenstraße“, erläutert Florian Guntrum. Und so finden sich die possierlichen Tierchen immer wieder einmal in dem Gemälde.

Aber die Betrachter müssen schon genau hinschauen, das riesige Kunstwerk ist in erster Linie eine kunterbunte Zusammenstellung von Motiven. Fantasiefiguren, Herzen, und auch die Vermittlung von Werten finden sich in dem Gemälde: Peace-Zeichen, Natur oder Nahrung – natürlich auch mal durchkreuzt von lustigen Monstern.

„Eigentlich ist es ein riesiges Ausmalbild. Das war uns ganz wichtig, dass es ein ganz einfaches und buntes Kunstwerk wird, an dem sich jeder beteiligen kann – ganz ohne Bewertung. Keiner muss gut oder schlecht malen, im Mittelpunkt steht der Spaß an der Sprühdose“, erläutert Thekra Jaziri, die Kunst mit Schwerpunkt urbane Kunst studiert hat. Bei vielen ihrer Projekte hat sie schon erfahren, dass die Beteiligung der Bevölkerung für sehr viel Identifikation und damit für Nachhaltigkeit für Kunst im eigenen Wohnviertel sorgt. Und das passiert auch gerade in Egelsbach schon – die Resonanz der Bürger sei gut, viele Menschen blieben stehen und sagten auch, „wie cool“ die Mauer inzwischen aussehe. Und das erklärte Ziel, den „Spaß an der Dose“ erfüllt sich für die jungen Künstler ebenfalls. In langen Reihen stehen sie mit ihrem Mundschutz an der Mauer und sprühen, was die etwa 800 Farbdosen hergeben. Dabei gibt es natürlich auch Regeln: „Keiner sprüht den anderen, den Boden oder das Feld an und nie wird dieselbe Farbe neben der anderen verwendet – damit die Form der Motive immer zu erkennen ist“, erklärt Jaziri.

Der zweite Profi im Team genießt die Arbeit mit dem Nachwuchs sehr. Im „wahren Leben“ ist Florian Lübke Kommunikationsdesigner in einer Medienagentur. „Es fasziniert mich einfach, mit welcher Unbefangenheit Kinder an Farben und Formen herangehen“, sagt Lübke. Die kleinen Egelsbacher Maler lobt er für ihre Konzentration und die Begeisterung für das Projekt. „Es ist einfach sehr schön, einen solchen Prozess im Team zu erarbeiten. Auch der Kontakt mit dem Kunstverein war toll“, bilanziert der Kommunikationsdesigner.

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