Nino Haratischwili hat Lina Atfah und Annika Reich zu Gast Schreiben und träumen

Auf dem Podium der Stadthalle Bergen (von links): Nino Haratischwili, Lina Atfah und Annika Reich. Bild: Jeannette Faure

Bergen-Enkheim (jf) – Organisator Martin Gläser von der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim begrüßte das Publikum in der Stadthalle Bergen zu einer besonderen Veranstaltung: Die amtierende Stadtschreiberin Nino Haratischwili hatte ihre Tandem-Partnerin Lina Atfah im Projekt „Weiter Schreiben“ sowie die Autorin Annika Reich, Mitinitiatorin des Projekts, eingeladen.

„Heute, am 21. März, ist in der arabischen Welt und also auch in Syrien Muttertag! Es ist toll für mich, ihn hier und auf diese Weise feiern zu können“, freute sich Lina Atfah. Dann las sie ihr erstes Gedicht mit dem Titel „Das Navi“ auf Arabisch vor. Ausdrucksstark unterstrich sie die schönen, aber für das Publikum unverständlichen Worte mit Gesten und Mimik. Das Zuhören war ein Erlebnis. „Die deutsche Übersetzung ist für mich schwierig, aber ich lese das trotzdem vor“, erklärte die Syrerin.

Atfah, 1989 in Salamiya geboren, lebt seit 2014 in Wanne-Eickel. Sie studierte Arabische Literatur in Damaskus, arbeitete für Zeitungen und Magazine, geriet mit dem Assad-Regime in Konflikt und floh.

Als 2017 das Projekt „Weiter Schreiben“ initiiert wurde, bildete sie mit Nino Haratischwili das erste Tandem-Team. „Die Situation in Syrien ist schwierig. Als wir in Deutschland ankamen, war man sehr menschlich mit uns“, erzählte Atfah. „So haben wir den Willen zu schreiben und zu träumen nicht verloren.“ Das Publikum applaudierte. „Ohne Nino und Annika wäre mein Schreiben nicht möglich“, fügte die Autorin hinzu.

Zurzeit gibt es etwa 40 Tandems, jede zweite Woche erscheint ein neuer Text, es gibt einen Podcast und ein Magazin. Mehr über diese Initiative erfährt man unter „weiterschreiben.jetzt“ im Internet.

„Ich bin auch nicht aus Deutschland, aber doch empfinde ich mich als privilegiert und möchte gerne unterstützen“, erklärte Nino Haratischwili. Es gehe darum, geflüchtete Autorinnen sichtbar zu machen, ihnen eine Plattform zu bieten.

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Es folgten Auszüge aus einem E-Mailwechsel zwischen Haratischwili und Atfah zum Thema „Häuser – Gärten – Ruinen“, veröffentlicht im ersten gedruckten „Weiter Schreiben“-Magazin, das im Juni 2019 publiziert worden war. „Schreib mir, Nino, weil ich jedes Mal, wenn ich deine Worte lese, den Rückweg nach Hause finde“, heißt es darin bei Atfah.

Die syrischstämmige Autorin ist 2023 Mutter von Zwillingen geworden, ihr Mann Osman, der sie eigentlich begleitet und bei den Übersetzungen ins Deutsche hilft, konnte bei der Veranstaltung in Bergen-Enkheim nicht dabei sein. Aber über ihn wurde viel gesprochen. „Als Lina mir vorschlug, dass ihr Mann ihre Texte ins Deutsche übersetzen könne, konnte ich das nicht glauben. Osman ist Physiker. Schließlich saßen wir zu dritt über Skype zusammen und redeten über die Gedichte“, berichtete Annika Reich.

Das Gedicht „In meiner Hand erblühte“ ist eine Liebeserklärung an eine Frau – unvorstellbar in Syrien. Im Vortrag von Lina Atfah wird es zum zärtlichen Lied, zum Kammerspiel.

Kontrastprogramm ist ihr Gedicht „Entschuldigung“, das sie für eine Frau verfasste, die von ihrem langjährigen Partner verlassen wurde. Man hörte und verstand: Lina Atfah kann auch ganz anders.

Spätestens an diesem Punkt war der Abend ein großes Fest für die drei Frauen auf dem Podium und für das stürmisch Beifall klatschende Publikum.