Antrittslesung von Stadtschreiberin Nino Haratischwili Auf viel Herz getroffen

Nino Haratischwili bei ihrer Antrittslesung. Bild: Jeannette Faure

Bergen-Enkheim (jf) – Nicht, wie sonst üblich, in der Nikolauskapelle, sondern in der viel größeren Stadthalle wurde die Antrittslesung der 50. Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim von der von Mark Gläser, Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim, und weiteren Engagierten organisiert. Das große Interesse rechtfertigte die Ortswahl.

Vor Kurzem noch auf einem Theaterfestival in Belgien, hielt Nino Haratischwili nun am Stadtschreiberort ihre Antrittslesung. Jurorin Charlotte Brombach stellte die aus Georgien stammende und seit 2003 in Deutschland lebende Autorin, Regisseurin und Dramatikerin vor. Brombach streifte dabei auch die Musik-Text-Collage von Haratischwili zum Supra-Festival in der Hamburger Elbphilharmonie. „Was ist eine Supra?“, fragte die Jurorin nach. „Das ist ein georgisches Festessen. Es wird gegessen, getrunken, gesungen und musiziert. Immer wieder werden Lobreden auf die Frauen ausgebracht. Aber die sind eigentlich im Hintergrund und schwer beschäftigt“, fasste Haratischwili zusammen, „das wollte ich auf dem Supra-Festival ändern.“ „So eine Supra wünschen wir uns auf jeden Fall auch in Bergen-Enkheim“, bemerkte Brombach und bekam Applaus für diesen Vorschlag.

Der Roman „Das achte Leben“ werde als englische Serie verfilmt, erwähnte Brombach. Hat Haratischwili da ein Mitspracherecht? „Ich bin beratend dabei. In den Gesprächen wussten die 15 Filmleute alles über dieses Buch, während ich schon einiges vergessen hatte. Der Drehbeginn soll 2025 sein. Dann hat der Roman wohl mehr als acht Leben“, äußerte die Autorin.

Von der Wahl zur 50. Stadtschreiberin erfuhr Nino Haratischwili telefonisch. „Ich ging auf den Balkon, weil die Kinder so laut waren und ich nichts verstehen konnte. Ich habe mich gefreut und mit meinem schlechten Gewissen gehadert, mein Kalender war ja schon voll. Aber dann habe ich erfahren, dass mit dem Amt keine Verpflichtungen verbunden sind. Und ich kann Gäste einladen. Da habe ich an Annika Reich gedacht, künstlerische Leiterin des Projekts Weiter Schreiben, in dem ich auch engagiert bin und mit der Lyrikerin Lina Atfah aus Syrien ein Tandem gebildet habe. Das Projekt würde ich gerne weiter unterstützen.“

Das Stadtschreiberfest in diesem Jahr fand Haratischwili sehr schön: „Bergen-Enkheim ist echt anders als Frankfurt. Ich bin auf so viel Herz getroffen und muss etwas total Gutes zustande bringen, glaube ich.“

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Ob das ein Buch oder ein Theaterstück wird, ist noch unklar. Obwohl die Autorin sofort weiß, wenn sie einen Stoff bearbeitet, ob das für Buch oder Bühne taugt. „Für das Theater muss ich als Person verschwinden, das übernehmen die Schauspielerinnen. Beim Roman finde ich die eigene Erzählperspektive gut.“

Apropos Theater: Das Schauspiel Frankfurt wird am 15. März 2024 Haratischwilis Euripides-Adaption „Phädra, in Flammen“ auf die Bühne bringen. Die Autorin las daraus an diesem Abend und bekannte: „Ich liebe die Antike. Die alten Griechen schrieben einfach und universell, es steckt viel in den Stücken.“ Schon als Kind las Haratischwili die Mythen und Sagen der Antike.

Ihr 2022 erschienenes Buch „Das mangelnde Licht“ erzählt die Geschichte von vier Freundinnen aus Georgien. Drei davon treffen sich Jahre später in Brüssel, um eine Ausstellung ihrer verstorbenen vierten im Bunde zu besuchen. Dabei wird auch Georgien in den 90er Jahren geschildert, eine junge, gespaltene Demokratie im Bürgerkrieg.

Später wird die Frage erörtert, warum die Autorin schonungslos Gewalt in ihren Büchern schildert. „Wie kann man vom Krieg schreiben, ohne das zu benennen, was passiert?“, fragte die Autorin zurück. Eine berechtigte Frage, die gleichzeitig Antwort war.

Anschließend bildete sich eine lange Schlange vor dem Signiertisch. Nino Haratischwili nahm sich Zeit für alle, die mit Büchern in der Hand warteten.