Mit Fans im Zug und andere Albträume Laut-Poesie beim Frankfurter Festival literaTurm

Michael Lentz, Nora Gomringer, Philipp Scholz und Jaap Blonk gemeinsam. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – In der Ausstellungshalle Schulstraße 1A präsentierten sich im Rahmen des Festivals literaTurm gleich vier Laut-Artisten: der Schriftsteller, Lautpoet und Musiker Michael Lentz, sein niederländische Kollege Jaap Blonk und das Duo Wort Drum Dran – Nora Gomringer & Philipp Scholz.

Wer kennt nicht das Gedächtnisspiel „Ich packe meinen Koffer“? In der von Gomringer & Scholz vorgetragenen Version war es allerdings ein Novum. Nora Gomringer steigerte sich vom überlegten Zusammentragen von sinnlosen und sinnvollen Utensilien zum raschen, wahllosen Griff in Fächer und Schränke, alles immer schneller hinein ins Gepäckstück, rasend wie ein ICE – und schließlich, abgebremst, sanft, beruhigend. Das Ernst-Jandl-Gedicht „Perfektion“ folgte, der Singsang Kurt Schwitters durfte nicht fehlen, Dada lässt grüßen 100 Jahre nach seiner Geburt.

„Kein Fehler im System.“ Ein feiner, keinen Widerspruch duldender Satz. Eine Feststellung, die Hand und Fuß hat und basta. Oder doch nicht? Lautmalerisch ein äußerst ergiebiger Satz, wie das Duo Wort Drum Dran bewies. Und wie hübsch ist die letzte Komposition in der durcheinandergewirbelten Wortkaskade: „Sei fest, kleiner Mime.“

Von chinesischen Neubauten in spanische Avenidas

Es wurde nicht nur 100 Jahre auf Dada zurückgegriffen, sondern gar 5000, auf chinesische Hexameter von Yi Jïng. „Lassen Sie uns gemeinsam durch die acht Häuser einer chinesischen Neubausiedlung gehen“, forderte Nora Gomringer auf. Häuser aus Lauten, Gesten, Mimik. Unverständlich verständlich. Phonetisch animierte kleine Kostbarkeiten, die ohne Sprache funktionieren.

Von chinesischen Neubauten ging es in die spanischen Avenidas. Drei Worte für ein Lebensgefühl, mehr brauchte es nicht, um die Zuhörer in die Atmosphäre der Ramblas zu versetzen. Mit Anagrammen begann Michael Lentz; „Lies es“, „Wut dosieren“, „Desorganisieren“ – ein Furor an Wortwirbeln.

In Erinnerung an eine Zugfahrt in einem Abteil mit betrunkenen, rauchenden, dumm schwatzenden Dortmunder Fans lief Lentz in einem Situationsgedicht zur Höchstform auf. Ziemlich realistisch, die Aversion gegen eine solche Zwangsbegegnung übertrug sich körperlich auf die Zuhörer.

Am Ende bleib ein Knacken

„Wie es früher war“ – so hieß die folgende Performance, „die Zusammenfassung all unserer Kindheit“, erläuterte Lentz. Text, Geräusche sowohl vom Band als auch live verbanden sich zu einem Konglomerat. Erinnerungsbeladene Flüsterworte kollidierten mit lärmender Gegenwart. Am Ende blieb ein Knacken wie bei einem Radio, dem die Sender ausgegangen sind.

Der vierte Lautmaler, der Niederländer Jaap Blonk, Komponist, Sänger und Lautpoet, kündigte gleich zu Beginn zwei Uraufführungen an. In einer Aneinanderreihung von Frank-Zappa-Zitaten mit Klavierbegleitung bot Blonk eine opernhafte Performance, die so erstmals zu hören war. Eine weitere Hommage an Dada war Hugo Balls „Seepferdchen und Flugfische“. In sieben verschiedenen Sprachen folgte „First Class Nightmares“; nachvollziehbar wurden Angst und Schrecken, Furcht und Schweißausbrüche, Kämpfe gegen Ungeheuer, Schlottern und Beben.

Kollektives Lautgedicht

Gemeinsam mit Michael Lentz wurde die Behauptung, das Niederländische sei wohl mehr eine Halskrankheit als eine Sprache, in Lautpoesie umgesetzt und um die Wette gekrächzt und gestöhnt beim Umwandeln niederländischer Flüche in eben noch so akzeptable Bemerkungen. Am Ende waren sich die beiden Performer in der Formulierung „godogod“ einig. „Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so“, hieß die abschließende Performance aller vier Lautpoeten. Der Vortrag, zugleich eine Verneigung vor Georg Büchner, erforderte von allen höchste Konzentration und wurde vom Publikum mit viel Beifall bedacht.

Eine Zugabe gab es von Jaap Blonk: Gemeinsam mit dem Publikum trug er ein kollektives Lautgedicht vor. Ein Abend, der den Gästen viel Spaß gemacht hat, sie zum Staunen und Lachen brachte und ihnen – falls ihnen solche Klänge, Rhythmen, Melodien bis dato unbekannt waren – einen hervorragenden Eindruck von Lautpoesie und ihrer Vielfalt vermittelten. Ein Abend, der von den vier Künstlern Höchstleistungen abforderte. War eben keine Wasserglaslesung, sondern ein Eintauchen ins Lautmeer.