Einhards Basiliken in Seligenstadt und Steinbach sind herausragend in Mitteleuropa Vom Wert karolingischer Gotteshäuser

Langhaus der Basilika mit Blick zur Orgel: Die alten Proportionen sind erhalten. Bild: gries

Seligenstadt – „Selig sei die Stadt genannt…“ Viele kennen die Namenslegende des ab 836 so genannten mainfränkischen Städtchens Seligenstadt, zuvor Ober-Mulinheim. Der Ort ist seitdem untrennbar verbunden mit Klostergründer Einhard und seiner Imma, beide in der Einhardbasilika beerdigt. Einhard, um 770 im Maingau geboren, war Biograf und Bauexperte des Frankenkaisers Karls des Großen und Berater von dessen Sohn, Kaiser Ludwig dem Frommen. Als nach Karls Tod 814 dessen Reich zwischen Italien, Spanien, Frankreich und Holstein zerfiel, zog sich Einhard resigniert auf die ihm 815 kaiserlich übertragenen Güter Mulinheim am Main und Michelstadt im Odenwald zurück. Dort gründete er aus Sorge um sein Seelenheil und das seiner Schutzbefohlenen zwei Klöster mit Basiliken im Stil der „Karolingischen Renaissance“.

Die bis heute in vielem unveränderte Steinbacher Basilika (ab 824) diente Einhard als Modell für die größere Basilika Seligenstadt (ab 830). Zunächst war die Krypta der Steinbacher Kirche für die Reliquien vorgesehen, es kam einiges anders. Die Umstände der „Translatio“ sind nachzulesen in Einhards Schrift zur „Überführung“ der heiligen Gebeine der römischen Märtyrer Marcellinus und Petrus, den Opfern der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian. Der Autor spart dabei Wunder nicht aus, verschweigt aber, dass es 827 bei Todesstrafe verboten war, heilige Gebeine vom Begräbnisort in Rom „mitzunehmen“. Einhards Notar Ratleik ließ sich jedoch nicht von der Überführung abhalten und brachte zur Überraschung des Auftraggebers sogar Reliquien von zwei Heiligen mit. Denn Einhard brauchte für die Gründungen in Steinbach und in Seligenstadt legendäre Schutzpatrone, die von fränkischer Erde aus Wunder wirken sollten. Die 827 fertiggestellte Märtyrerkirche an der Mümling erwies sich als zu abgelegen für Heiligenverehrung, zudem schwitzten die Gebeine dort ab November 827 Blut. Einhard hatte Seligenstadt im Kopf, doch dort stand nur eine schlichte karolingische Kapelle, die 1840 abgerissene Laurentiuskapelle, am Platz des heutigen Memling-Kulturhauses. Die „basilica nova“ auf dem heutigen Friedhof war ungeeignet, sodass die Kapelle im Januar 828 die Steinbacher Reliquien aufnahm, bevor Einhards große Lösung auf der grünen Wiese oberhalb des Mains entstand. Dort sollte eine besondere Märtyrerkirche entstehen – und Bauten für ein Kanonikerstift.

Die Pfeilerbasilika sollte bestehen aus einem Mittelschiff mit Rundbogen-Arkaden und hochgestellten Obergaden-Fenstern, zwei Seitenschiffen und einem Querschiff. Die T-Form des Baues sollte bis hin zu Kranzgesimsen, Pfeilern, Kämpferplatten und Flachdecken Ruhe ausstrahlen, aber keinen Prunk. Bei der Ausführung wurde unterm erhöhten Altar – nach Vorbildern aus Rom – eine Ringkrypta gebaut mit seitlichen Kammern, einer Mittelkammer für die Reliquien und einem Umrundungsgang. Einhard wollte dort begraben sein, um mit Imma den Heiligen nahe zu sein und mit ihnen Fürsprecher für den Weg ins paradiesische Jenseits zu haben.

Nach seinem Tod 840 war es so weit. Was heute oft wie Legende wirkt, ist aber in Seligenstadt wirklich geschehen – und wird ins Bild gesetzt von der mehrfach veränderten Einhardbasilika, der größten erhaltenen karolingischen Basilika nördlich der Alpen. Sie wird liturgisch voll genutzt und wirkt dabei sehr lebendig – im Kontrast zum Steinbacher Denkmal, das nach der Wiederentdeckung als karolingische Rarität 1873 erneut in Dornröschenschlaf gefallen ist. Aber auch Seligenstadts Basilika existiert(e) oft in einer eigenen Welt, unbeirrt von den Zeitläuften – bis tief hinein ins karolingische Mauerwerk. Ihre römisch geschichteten Ziegel- und Bruchsteine reichen in Lang- und Querhaus bis unters Dach, sie sind an Mauerfenstern in den Pfeilern zu studieren. Der spätromanische Chor ist hineingewachsen in den paradiesischen Konventgarten, während das uralte „Fischertörchen“ kaum beachtet wird.

Die Instandhaltung der Basilika ist freilich eine dauernde Aufgabe. Nach dem Mittelalter mit neuen romanischen Türmen kam es im Barock und 19. Jahrhundert zu entstellenden Einwölbungen und Veränderungen. Dass man wieder die Raumwirkung des 9. Jahrhunderts in Wand-, Bogen- und Fensterproportionen vorfindet, ist vor allem dem in Steinbach geborenen Konservator Dr. Otto Müller (1911-99) zu verdanken, der bereits als Student unter Steinbachs Basilika grub.

Anfang der 60er-Jahre rettete er sie vor dem Einsturz und machte sie zum Vorzeigebau des Denkmalschutzes. Unter Seligenstadts Basilika grub er 1937 die durch die Vierungspfeiler eingestürzte Krypta aus, ließ zur Sicherung eine Betondecke einziehen. Die Reliquien waren seit dem Chorausbau im 13. Jahrhundert unter den Zelebrationaltar gewandert, Einhards und Immas Gebeine dann in den Sarkophag am Querschiff. 1953 ließ Müller Flachdecken rekonstruieren, Fenster und Simse ins alte Maß rückbauen.

Die von ihm erreichte Harmonie zwischen strengem Basilika-Raum und wuchtig gekuppelter Vierung ist heute einzigartig. Der Konservator hat 1200 Jahre alte Bauideen erlebbar gemacht, zu deren „drei Phasen“ Archäologe Kai Thomas Platz, seit seinen Befunden von 2005, weitere Forschung empfiehlt.

Von Reinhold Gries

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