Festakt am Hermann-Wolf-Weg / Nachkommen aus den USA angereist Ein Stück Würde zurückgeben

Eine Straße für die Erinnerung: Zur Eröffnung des Hermann-Wolf-Wegs war dessen Enkel Howard (heller Anzug) mit Familie und Freunden aus den Vereinigten Staaten angereist. Bild: Sally juliet Eckstein

Dietzenbach – Wenn man so will, treffen dort Erinnerung und Zukunft zusammen. Seit Dienstag letzte Woche gibt es offiziell den Hermann-Wolf-Weg in Dietzenbach, es ist ein kleiner Stichweg, der vom Nordwestring abgeht in ein neues Wohngebiet. Mit dieser Straße gedenkt die Stadt des ehemaligen Viehhändlers und Vorstehers der jüdischen Gemeinde, von den Nazis mittellos gemacht, gedemütigt und vertrieben. 1938 floh die Familie nach Frankfurt, 1941 weiter nach Sevilla, in Lissabon bestiegen die Wolfs ein Schiff nach New York, das Hermann Wolf aber nie sehen sollte: Er starb beim Stopp in Havanna (Kuba) mit 69 Jahren an den Folgen einer Typhus-Erkrankung. Seine Frau Emma und die Kinder erreichten den Sehnsuchtsort New York.

Zum Festakt waren Wolfs Nachkommen erstmals nach Deutschland gereist, 17 Verwandte und drei Freunde waren am Montag in Frankfurt gelandet, am Donnerstag geht es zurück in die USA. „Wolf Pack“ (Wolfsrudel) nennt sich die Familie. „Es ist ein surrealer Moment, über dieselben Straßen zu gehen, über die auch meine Eltern gegangen waren“, sagte der 74-Jährige Howard Wolf, Enkel von Hermann und Emma Wolf, Sohn von deren ältestem Kind Julius.

Größtenteils lebt die Familie heute in New York, der ehemalige Buchhalter Howard Wolf in der nahen Kleinstadt Great Neck. Er sagt, dass seine Großmutter so gut wie nie über ihre Jahre in Nazi-Deutschland gesprochen habe – Verdrängen war für viele Juden ein Weg, Abstand zum erlebten Grauen zu gewinnen.

Dietzenbachs Bürgermeister Dieter Lang will nicht verdrängen. Mit der Namensgebung „wollen wir Hermann Wolf ehren und gleichzeitig ihm und seiner Familie ein Stück Würde zurückgeben, die ihnen in Zeiten der NS-Gewaltherrschaft genommen wurde“. Doch Lang will mehr. Zur Aufarbeitung der jüdischen Geschichte der Stadt hat Maria Polatowski-Ruprycht vom Historischen Museum ein Konzept erstellt und mit dem Hessischen Museumsverband abgestimmt.

Dietzenbach setzt auch kleine Zeichen. Lang verweist auf zwei am Hermann-Wolf-Weg gepflanzte Amber-Bäume, von denen in der Bibel wegen ihres heiligen Balsams geschrieben steht. Heute stellen sie eine Besonderheit dar, denn als hitzebeständig werden sie angesichts des Klimawandels als Stadtbäume empfohlen. Aber wie ist das für Juden aus Amerika, in ein Deutschland zu kommen in einer Zeit, da die Rechtsauslegerpartei AfD sowie offener Antisemitismus immer stärker werden? „Das ist in New York nicht anders“, sagt Howard Wolf. In der Tat, auch in den Vereinigten Staaten gewinnen die Rechten an Kraft. Es geht dabei nicht nur um alte Männer wie Donald Trump, sondern um junge Großstadthipster, deren Chefideologe der Buchautor Curtis Yarvin ist. „Als Jude ist man immer besorgt. Das ist unsere Geschichte“, sagt Howard Wolf. Damit will sich Horst Schäfer nicht zufriedengeben. Der ehemalige Richter und Mitbegründer der Dietzenbacher Arbeitsgemeinschaft der Religionen war Motor der Namensgebung für den Hermann-Wolf-Weg und kämpft leidenschaftlich für eine Erinnerungskultur, gerade in Bezug auf die starke rechte Szene in Deutschland. Als Teil der 68er-Bewegung sei er schon damals auf die Straßen gegangen, um gegen das Verdrängen der Nazi-Gräuel zu demonstrieren.

Die Dietzenbacher Stadtverordnetenvorsteherin Andrea Wacker-Hempel formuliert noch deutlicher, worum es ihr heute geht. „Wir lassen es gemeinsam nicht zu, dass Nazis einen Fingerbreit an Boden gewinnen.“ Die AfD erwähnte sie zwar mit keinem Wort, aber jeder wusste, wen sie meinte.

Von Steffen Gerth