Weinfestchen auf dem Gailenberg Große Vorfreude auf die Spätlese

Walter Schäfer analysiert den Oechsle-Gehalt des Lämmerspieler Weins. Die Hobby-Winzer hoffen auf eine gute Ernte. Foto: m

Mühlheim (m) – 84 Oechsle! Karl-Heinz Stier streicht immer wieder den flüssigen Inhalt einer anderen Traube über die Schräge des Refraktometers, hält das Gerät in Form eines Mini-Fernrohrs gegen die Sonne. Das Ergebnis ändert sich nur unwesentlich, mal 83, mal 85 Oechsle, ist an der Skala abzulesen. Sie gibt den aktuellen Zuckergehalt des Burgunder-Jahrgangs 2018 an, der auf dem Gailenberg reift.

„Das gibt eine gute Spätlese“, freut sich der Mitgründer der Interessengemeinschaft (IG) Lämmerspieler Weinbauern. „Und die Trauben hängen ja noch drei Wochen, dann werden sie über 90 Oechsle bringen!“, rechnet Stier vor. Zum Weinfestchen auf Mühlheims höchster Erhebung am vergangenen Samstag trugen die Reben ähnlich wie die Apfelbäume drumherum so viele Früchte wie selten zuvor, sodass die Gastgeber mit 200 Litern Ertrag rechnen. Nur im hinteren Bereich des Wingerts, wo der dicht bewachsene Zweig eines Obstbaums Schatten über die grünen Früchte wirft, misst der Sprecher nur einen Wert um die 50.

Rasch sind alle Garniturbänke unter dem Schatten spendenden Pavillon besetzt. Die Besucher am Wingert genießen Riesling, Grauburgunder und Müller-Thurgau, die allerdings nicht vom heimischen Boden stammen, aber vom Winzer in Rheinhessen, der den Weißburgunder keltert. Exakt 99 Einheiten haben sie vor rund 20 Jahren aus einer Bierlaune auf der Kerb gesetzt.

Damit sind die Lämmerspieler von den Zwängen des kommerziellen Weinanbaus befreit, nicht aber von der fast täglichen Hege. „Ohne Dünger und Schutz gegen Schädlinge geht nichts“, erklärt Stier den Besuchern. Auch nicht ohne Zaun – den hätte die Untere Naturschutzbehörde auf den Streuobstwiesen lieber abgebaut gesehen. „Aber dann würde uns das Rehwild die Ernte wegfressen“, lehrt der Vorsitzende des Geschichtsvereins.

Viele der knapp 20 Aktiven der IG gingen in den vergangenen Wochen gegen die gefährliche und andauernde Hitze vor und wässerten die Pflanzen. Die Lämmerspieler Wehr stellte der gemeinnützigen Organisation einen Container mit dem frischen Nass zur Verfügung. Daneben entfernten die Freizeit-Weinbauern Blätter von den Stöcken, damit möglichst alle Früchte die maximale Ration Sonne abbekommen.

So hat sich der Weißburgunder prächtig entwickelt, obwohl die Wurzeln nicht wie sonst bei dieser Art bis zu 14 Meter tief in die Erde eindringen können. In der Eiszeit wurde etwa ein Meter Sand und Humus vom Main herauf geweht. Darunter aber liegt die Basaltschicht. „Die hält das Wasser für eine Weile“, erläutert Horst Baier vom Geschichtsverein die Situation auf Mühlheims Hausberg.

„Im Mittelalter gedieh auch in Hausen und Dietesheim Wein“, erzählt Stier, „und selbst die Kinder haben ihn getrunken, weil das Wasser zu schmutzig war“. Die Reblaus und eine „kleine Eiszeit“ beendeten dann aber jäh den Anbau. Der Bischof von Mainz ordnete das Pflanzen von Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäumen an – die Geburtsstunde des Äpplers!

Den gab’s nicht beim gemütlichen Weinfestchen, dafür Fleischwurst und Ingeborg Fischers Weinknörzjer.