Mühlheimerin fordert mehr Aufmerksamkeit für Erkrankung Wenn der innere Akku schlappmacht

Voll engagiert: Seit 2021 leidet Ulrike Huf an der neuroimmunologischen Krankheit ME/CFS. Doch das hält sie nicht davon ab, sich wie hier beim Trauergang der Initiative „LiegendDemo“ für das Thema stark zu machen. Bild: p

Mühlheim – Schmerzen in Muskeln und Gelenken, lähmende Erschöpfungserscheinungen und ein andauerndes Krankheitsgefühl: Mit diesen und weiteren Symptomen sehen sich Betroffene von Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) konfrontiert. Selbst kleinste, ganz alltägliche Dinge wie Einkaufen, Kochen oder nur der Gang ins Bad können die Energiereserven leer saugen, ein normales Leben ist kaum möglich. Ein Heilmittel existiert nicht, trotz Einstufung durch die World Health Organization (WHO) als neurologische Krankheit im Jahr 1969 ist ME/CFS auch heute noch größtenteils unerforscht.

Für Betroffene bedeutet das nicht selten jahrelanges Hetzen durch Arztpraxen, Fehldiagnosen und ein stetiges Kämpfen um Behandlungen. So ist es auch der Mühlheimerin Ulrike Huf ergangen. Sie leidet seit mehr als zwei Jahren an der schweren Krankheit, Auslöser war eine Infektion mit dem Coronavirus. „Anfangs hatte ich kaum Symptome und bin auch noch arbeiten gegangen“, sagt Huf. Doch nur wenige Monate später erleidet sie einen „massiven körperlichen Zusammenbruch“, kann ihr Bett wochenlang nicht verlassen, muss ihren Job aufgeben. „Ich hatte während der ganzen Zeit keinerlei ärztliche Versorgung, meine Hausärztin hat es einfach auf die Psyche geschoben“, sagt Huf. Mit ihren Erfahrungen steht sie nicht alleine da, auch heute gebe es noch viele Ärzte, die ME/CFS fälschlicherweise als Depression diagnostizierten oder gänzlich an der Existenz zweifelten.

Antworten findet Huf schließlich im Internet, wo sie sich in Selbsthilfegruppen über Therapiemöglichkeiten und das Leben mit der Krankheit austauscht. Berührt von den Geschichten liest sie sich immer weiter in das Thema ein, nimmt Kontakt zu Ärzten und Vereinigungen auf, die es sich zum Ziel gemacht haben, Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Ich wollte nicht einfach nur rumsitzen, sondern selbst etwas bewirken.“

Und so leistet die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Mühlheimer SPD als Teil verschiedener Initiativen wie „#nichtgenesen“ Aufklärungsarbeit, hält Vorträge und hat erst kürzlich einen von der Hessen-SPD erstellten Katalog mit konkreten Forderungen an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überreicht.

„Es gibt bislang weder anerkannte Therapien noch evidenzbasierte Forschungen und das Krankheitsbild wird auch nicht im Medizinstudium gelehrt, wodurch es kaum Ärzte gibt, die sich damit auskennen“, sagt Huf. Die Folge: Häufig müssten Erkrankte auf einen Mix aus Selbsttherapien sowie auf kostspielige Behandlungen zurückgreifen. Und auch Medikamente könnten oftmals lediglich über Schlupflöcher verschrieben werden, die Kosten dafür übernehme die Krankenkasse nur selten. „Nicht jeder kann sich das auf Dauer leisten“, sagt Huf und fordert, ME/CFS künftig in die Leistungskataloge aufzunehmen. Sie ist überzeugt, dass mit entsprechendem Willen und gezielten Investitionen im Bereich der Forschung in absehbarer Zeit vielen Betroffenen „ein großes Stück Lebensqualität“ zurückgegeben werden kann.

Wie viele Menschen bereits heute von solchen Maßnahmen profitieren würden, zeigen Statistiken, die das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) veröffentlicht hat. Demnach litten vor Ausbruch der Pandemie bundesweit zwischen 140.000 und 300. 000 Menschen an der Krankheit. Experten prognostizieren jedoch, dass die Zahl aufgrund von Corona künftig noch deutlich zunehmen wird. „Es ist bekannt, dass ein großer Teil der Erkrankungen mit einem viralen Infekt beginnt – Coronaviren sind da keine Ausnahme“, sagt der Hanauer Radiologe Dr. Josef Lösch, der sich seit 2017 ebenfalls intensiv mit dem Thema befasst.

Demnach ließe sich beobachten, dass ein nicht unerheblicher Teil der Long-Covid-Patienten ebenfalls ME/CFS entwickelte. „Viele fürchten, dass sich die Zahl der Betroffenen mehr als verdoppeln wird“, sagt der Mediziner. Umso wichtiger sei es daher, die Forschungen auf dem Feld nun endlich voranzutreiben, die Krankheit flächendeckend anzuerkennen und Infrastrukturen zur Versorgung weiter auszubauen. „Es ist schon so, dass die Thematik durch die Pandemie stärker in die Öffentlichkeit gerückt ist und sich etwas tut – aber es braucht mehr, um die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen“, sagt Lösch. Denn was nun genau bei ME/CFS im Körper passiert, ist trotz einiger Theorien nach wie vor unklar. „Wissenschaftler vermuten, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, eine andere These besagt, dass bei Betroffenen eine virusinduzierte Störung des hormonellen Stress- und Immunsystems vorliegt“, sagt der Radiologe.

Ulrike Huf konnte sich trotz aller Widrigkeiten wieder zurück ins Leben kämpfen. Sie ist nicht länger ans Bett gefesselt, ihren Alltag kann sie – wenn auch mit Einschränkungen – selbstständig bestreiten. „Leider hat längst nicht jeder so viel Glück, dass die Therapien anschlagen, weshalb ich mich weiter einsetzen möchte“, sagt die Mühlheimerin. Auf eine gesicherte Diagnose für ME/CFS wartet sie bis heute.
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