Soziale Einrichtungen sind auf junge Helfer angewiesen Freiwilligendienst in der Krise

Hat als Zivi angefangen und ist jetzt Johanniter-Chef: Regionalvorstand Sven Korsch. Bild: privat

Rodgau – Ob in kulturellen Einrichtungen, im Kindergarten, Seniorenzentrum oder Krankenhaus: Sobald junge Menschen sich nach ihrem Schulabschluss orientieren wollen und dabei der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen, können sie an vielen unterschiedlichen Orten ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder Bundesfreiwilligendienst machen. Laut Bundesfamilienministerium machten das 2023 etwa 90 000 Menschen. Doch immer mehr Organisationen haben Schwierigkeiten, Interessenten für den Freiwilligendienst zu motivieren. Wir sprachen darüber mit Sven Korsch, Regionalvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe.

Wie viele FSJler hatten sie früher und wie viele haben Sie heute?

Früher hatten wir so 37, 38. Jetzt haben wir meist fünf bis acht weniger. Ringsrum, bei den anderen Verbänden ist zu sehen, dass es immer weniger werden – viel spürbarer als noch bei uns. Es gibt Kollegen, die haben 50 Prozent weniger FSJler.

Welche Folgen hat das nachlassende Interesse am FSJ für die Johanniter?

Dienste können nicht mehr mit einem Mehrwert, also Zeit für den Kunden, angeboten werden. Der von uns angebotene Service wird schlechter. Das  spielt überall eine Rolle, wo Betreuung und helfende Hände wichtig sind.

Kennen Sie Gründe dafür, weshalb die jungen Leute wegbleiben?

Das ist nur teilweise ein Generationenproblem. Es gibt generell immer weniger Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren oder sich für soziale Arbeit interessieren. Viele sind der Meinung, dass man in diesem Bereich nicht gut genug verdient. Außerdem gibt es inzwischen für junge Menschen immer mehr Angebote für ein sogenanntes „Gap Year“, beispielsweise ein FSJ im Ausland oder bei Umweltorganisationen. Und es gibt einen großen Arbeitsmarkt, der Azubis sucht. Es ist dadurch viel leichter, eine Ausbildung zu beginnen, ohne ein Jahr warten zu müssen.

Was muss sich ändern, damit das FSJ wieder attraktiver wird? Gibt es etwa zu hohe bürokratische Hürden?

Eigentlich ist es ein überschaubarer Bürokratieaufwand, den FSJler verursachen. Mehr Taschengeld für die FSJler wäre gut. Und ein Pflichtjahr zum Dienst an der Gesellschaft würde bestimmt hilfreich sein.

Denken Sie über neue Strategien nach, wie man an Bewerberinnen und Bewerber kommt? Wie leisten die Johanniter Überzeugungsarbeit?

Wir machen viel Werbung für ein FSJ in Schulen mit Vorträgen und Infoständen und auf Bildungsmessen. Wir bieten den Schülern schon während der Schulzeit an, bei uns ein Praktikum zu machen. Wir schauen, dass es unseren FSJlern gut geht und sie bei uns auch wirklich etwas fürs Leben mitnehmen können. Wir machen viele Teambildungsmaßnahmen mit ihnen und wir sehen sie als Kollegen an.

Sie selbst haben einst als Zivildienstleistender zu den Johannitern gefunden. Bedauern Sie es aus dieser speziellen Sicht heraus sogar ganz besonders, dass sich junge Menschen immer häufiger gegen einen Freiwilligendienst entscheiden?

Ja. Es ist wirklich sehr schade, denn der eine oder andere findet dabei einen Berufsweg im sozialen Bereich, den er sich vorher so gar nicht vorstellen konnte. Man lernt kennen, was soziale Unternehmen alles leisten. Und man tut Dienst an der Gesellschaft.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit als Zivi?

Ich musste Zivildienst machen und habe mich anfangs sehr davor gedrückt, weil ich schon im Berufsleben stand. Ich arbeitete in der Industrie. Da war mit 25 Jahren der Zivildienst schon ein großer Einschnitt ins Leben. Nach der Androhung der Zwangseinziehung habe ich dann eine Stelle bei den Johannitern gesucht und Zivi gemacht. Ich erinnere mich gerne zurück. Noch heute treffe ich Freunde, die ich in dieser Zeit gewonnen habe. Ein FSJ – wie damals mein Zivildienst – verändert die jungen Menschen. Sie werden selbstständiger und reifen an den Aufgaben deutlich. Wir können das im Laufe des FSJ beobachten. Es ist schön, zu sehen, dass wir dabei unterstützen können.

Was  spricht noch dafür, Freiwilligendienst zu leisten?

Auch sonst ist ein FSJ für jeden jungen Menschen sehr sinnvoll. Es gibt Zeit, sich zu finden, erste Erfahrungen in der Arbeitswelt zu machen oder auch vieles für das Sozialverhalten zu lernen. Wir unterstützen die FSJler bei uns mit Seminaren. Und die Johanniter haben eine Tutorin, die sich um sie kümmert und auch bei deren weiteren Schritten für Ausbildung und Beruf berät und unterstützt.
Die Fragen stellte Bernhard Pelka